Wie kann generative KI für das Lernen und das Studium gut genutzt werden?
Mit Dokumenten wie dem EU AI Act, der Richtlinie von Hochschule Bayern oder dem Whitepaper des KI-Campus des Stifterverbandes wurden Richtlinien und Regelungen für den Umgang mit generativer KI definiert, deren Anwendung jedoch in der individuellen Lehrpraxis ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Große Einigkeit besteht darin, dass globale Regelungen nicht auf alle Fachbereiche und Lehrkontexte gleichermaßen sinnvoll übertragen werden können. Schnelle technologische Weiterentwicklungen erschweren beständige Regulierungen zusätzlich. Es scheint essenziell, fortdauernd eine eigene kritische Position auszubilden, generelle Risiken und Grenzen bei der Nutzung generativer KI zu kennen (vgl. z.B. UNESCO 2023, Kap. 6) und sie bei der Nutzung von KI-Tools zu berücksichtigen.
Bei Studierenden besteht Unsicherheit, wenn es um Lernen, Hausarbeiten, Prüfungsvorbereitung, Protokolle usw. geht – Was ist zulässig? Bekomme ich Probleme und wird meine schriftliche Arbeit anders bewertet? Was ist ok und wie stehe ich selbst dazu? Was denken die Lehrenden?
Für Lehrende ist oft unklar, wie man gut mit Abgaben umgeht, die scheinbar von einer gen. KI erstellt wurden. Was ist zulässig, was erscheint einem selbst sinnvoll? Wie kann man zukünftig Texte gut bewerten? Und was sagen die Studierenden dazu – wollen und können sie generative KI nutzen, und wie bzw. wofür?
Mit den hier beschriebenen Methoden wird es leichter, zu generativer KI ins Gespräch zu kommen und zu überlegen, wie in der eigenen Lehre mit generativer KI umgegangen werden könnte.
Der Workshop und die Lehrmethoden
Der Workshop wurde mit dem Titel „Wann ist ein Text mein Text?“ im Rahmen der Future Skills Weeks der Ohm durchgeführt. Ziel ist, dass die teilnehmenden Lehrenden und Studierenden ihre eigene Position zur Nutzung generativer KI darstellen und begründen, aber auch die Perspektiven anderer nachvollziehen können. Zu diesem Zweck kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, die es erleichtern sollen, ins Gespräch zu kommen und die auch einzeln in der Lehre eingesetzt werden können.
Die Methoden können auch in die reguläre Lehre eingebunden werden, um den Kontakt zu den Studierenden zu intensivieren und herausfordernde Themen wie den Umgang mit generativer KI gemeinsam zu erschließen
Im vorliegenden Praxisbeispiel liegt der Fokus auf dem Teil des Workshops, der sich mit dem Thema „Gute wissenschaftliche Praxis und Autorenschaft“ befasst.
Einstieg: Thinking Dialogue und Impulsvortrag
Zum Einstieg in das Thema dient der Thinking Dialogue, bei dem zwei Personen abwechselnd sprechen, während die jeweils andere Person aufmerksam, aber ohne eigene Äußerungen zuhört. Der zeitliche Wechsel zwischen sprechen und zuhören wird von der Moderation koordiniert. Auf diese Weise kommen beide Gesprächspartner gleichermaßen zu Wort und haben ebenso die Gelegenheit sich zurückzunehmen und aufmerksam zuzuhören. Die Leitfrage für den Dialog ist der Titel des Workshops: „Was denkst DU – Wann ist ein Text ‚dein Text‘?“
Der nächste Abschnitt des Workshops beginnt mit einem kurzen Input. Der European Code of Conduct for Research Integrity der European Federation of Academies of Sciences and Humanities wird vorgestellt, mit den Elementen der Reliability (Verlässlichkeit), Honesty (Ehrlichkeit), Respect (Respekt) und Accountability (Verantwortlichkeit). Es wird mit Verweis auf die Stellungnahme der DFG (DFG 2023) darauf hingewiesen, dass bei der Erstellung von Texten vor allem transparentes und nachvollziehbares Handeln von Relevanz ist und dass es „dem Berufsethos von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern [entspricht], dass sie selbst für die Einhaltung der Grundprinzipien wissenschaftlicher Integrität einstehen.“ (DFG 2023 S. 2). Meist kommen an dieser Stelle bereits Rückfragen und Anmerkungen. Es ist eine gute Gelegenheit, sich Zeit für Austausch zu nehmen.
Methode: Gedankenexperiment
Mit dem Gedankenexperiment „Generative KI als Mensch“ wird verdeutlicht, dass generative KI keine kompetente und vertrauenswürdige Rolle im Schreib- und Denkprozess übernehmen kann.
Im ersten Schritt werden Eigenschaften gesammelt, die generative KI beschreiben würden, wenn sie ein Mensch wäre (z.B. „Ich unterscheide nicht zwischen richtig und falsch.“; vgl. Kulkarni et al. 2024, S. 210). Diese Eigenschaften werden für alle sichtbar festgehalten. Im nächsten Schritt wird abgewogen, ob man auf einen Menschen mit diesen Eigenschaften für Ratschläge, Feedback o.ä. zur eigenen Arbeit zugehen würde. Zum Abschließen des Gedankenexperiments wird ein Schema vorgestellt, das in Abstufungen aufzeigt, wie generative KI in zunehmendem Maße bei der Erstellung von Texten einbezogen werden kann (vgl. Blogbeitrag von Matt Miller) und ein Austausch wird angeregt, ab welcher Intensität eine Autorenschaft nicht mehr eindeutig gegeben ist. Der Bezug zur Stellungnahme der DFG zu generativer KI und zu den Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis wird hergestellt.
Transfer
So könnte die Methode „Gedankenexperiment“ in die reguläre Lehre eingebunden werden, um den Kontakt zu den Studierenden zu intensivieren und herausfordernde Themen wie den Umgang mit generativer KI gemeinsam zu erschließen.
Methode: Rollenwechsel
In der Gruppenarbeit „Rollenwechsel“ soll durch einen Perspektivwechsel die Komplexität von Entscheidungen zur Nutzung generativer KI bewusst gemacht und gegenseitiges Verständnis erleichtert werden. Die Studierenden und die Lehrenden bilden jeweils eine Gruppe. Die Gruppe der Studierenden setzt den „Lehrenden-Hut“ auf und erarbeitet eine Position zu den Fragen „Würden Sie, wenn Sie Lehrende wären, Ihren Studierenden erlauben, generative KI für Textabgaben (Protokolle, Seminararbeiten, Abschlussarbeiten, …) zu nutzen? Wie würden Sie bewerten?“. Die Gruppe der Lehrenden übernimmt den „Studierenden-Hut“ und erarbeitet eine Position zu den Fragen „Würden Sie, wenn Sie Studierende wären, gerne generative KI für Textabgaben (Protokolle, Seminararbeiten, Abschlussarbeiten, …) nutzen? Wie und wofür würden Sie generative KI verwenden?“
Die Ergebnisse der Gruppenarbeit werden in einer strukturierten Diskussion mit dem Motto „Würstchen mit Senf“ nach und nach diskutiert. Die Studierendengruppe stellt ihr Überlegungen vor, wie sie als Lehrende handeln würden (Würstchen). Im Anschluss geben die Lehrenden „ihren Senf dazu“; sie kommentieren also in wertschätzender und konstruktiver Art und Weise die Überlegungen und machen Ergänzungen, die das Ergebnis der Studierendengruppe bereichern, ihm also noch Würze geben – wie der Senf dem Würstchen. Danach stellt die Lehrendengruppe ihre Ergebnisse vor, wie sie als Studierende handeln würden, und die Studierenden ergänzen mit „Senf“. Über die Strukturierung der Ergebnispräsentation mit Hilfe der Metapher „Würstchen mit Senf“ wird eine wohlmeinende, konstruktive Gesprächsatmosphäre unterstützt. Die Interaktion auf Augenhöhe wird durch die konkreten Beschreibungen, wie die Gesprächsbeiträge gestaltet sein sollen, erleichtert. Die Gruppenarbeit wird mit einem Verweis auf aktuelle Handreichungen zum Umgang mit generativer KI und zum aktuellen Stand an der Hochschule abgeschlossen.
Transfer
So könnte die Methode „Rollenwechsel“ in die reguläre Lehre eingebunden werden, um den Kontakt zu den Studierenden zu intensivieren und herausfordernde Themen wie den Umgang mit generativer KI gemeinsam zu erschließen.
Feedback
Besonders von den Studierenden wurde der Austausch mit den Lehrenden als sehr wertvoll beschrieben. In Gesprächen während und nach dem Workshop erzählten sie, dass die „Blackbox“ der Lehrenden-Perspektive dadurch für sie transparent wurde und überraschend viele Ähnlichkeiten in den Perspektiven deutlich wurden. Auch die Erkenntnis, dass selbst Lehrende keine felsenfeste, unveränderbare Expertenmeinung zu dem Thema haben, wurde von den Studierenden als sehr positiv benannt und trug zu einer guten Arbeitsatmosphäre bei. Es ist anzunehmen, dass auch in Lehrveranstaltungen eine ähnlich bereichernde Wirkung auf die Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden erreicht werden kann.
In einem Feedbackbogen wurde das Konzept, einen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden zu ermöglichen, durchweg als (sehr) positiv bewertet. Die Studierenden benannten als Gründe, dass sie nun weniger Angst davor haben, Lehrende auf generative KI anzusprechen. Der Austausch bringe Lehrende und Studierende näher zusammen und ermögliche, Neues zu lernen und zum Beispiel andere Perspektiven zu verstehen oder die eigene Denkweise zu verändern oder zu erweitern. Von Seiten der Lehrenden wurde vor allem der Austausch an sich positiv hervorgehoben, u.a. in Hinblick auf Offenheit ohne die üblichen Hierarchien und auf den Aufbau von gegenseitigem Verständnis.
Der Beitrag wurde veröffentlicht im Mai 2025 und zuletzt aktualisiert im Januar 2025.